Ein großes Grinsen ziert mein Gesicht als ich das Gate am JFK Flughafen in New York City durch die großen Glastüren verlasse. Es ist die Vorfreude auf das, was kommen würde. Eine verwirrende Mischung aus frisch erfüllter Sehnsucht und einer Vertrautheit, die dem Gefühl von Heimkehr gleicht. Ich bin zurück – im sogenannten Big Apple; der Stadt, die nicht mal schlummert.
Meine eigene Haltung schockiert mich, wenn auch nur für einen Moment. Natürlich wusste ich, dass ich zurückwollte. Ich wusste, dass ich mich nach dem niemals endenden Straßenlärm, den dampfenden Gullys und wasserspuckenden Feuerhydranten sehnte, und ich mich freuen würde, sobald ich auf dem quadratisch angelegten Straßenraster Manhattans wandeln sollte. Doch ich hatte nicht ahnen können, dass ich direkt nach meiner Ankunft in eine derartig regenerierende Spirale der Selbstreflexion verfallen würde. Es war acht Jahre her, dass ich zum ersten Mal amerikanischen Boden betrat; ich war noch ein Baby mit meinen jungen neunzehn Jahren und stand vor meinem ersten großen Abenteuer, meiner ersten Auslandserfahrung, meiner ersten Reise in die Welt, und deshalb das erste Finden zu mir selbst. Nun bin ich älter, stehe mit beiden Beinen im Leben, doch fühle mich zeitgleich zurückgeworfen in dieses Gefühl von Ungewissheit und stelle fest, dass so viel Zeit vergangen, so viele Erlebnisse in der Zwischenzeit erlebt wurden – wow. Ich fühle mich von all den Emotionen überwältigt und bin froh und traurig zugleich, dass ich dieses breite Spektrum an Gefühlen zulassen und beobachten kann.
Neben dieser an meinen eigenen Erfahrungshorizont angepassten Melancholie wurde mir klar, dass neben dem Feinschliff meiner Schauspielkunst vielmehr das erneute Zurückkommen zu mir selbst im Vordergrund meines jetzigen Auslandsaufenthaltes stehen würde. Wie bereits angesprochen, lebte ich das erste Mal 2013 für ein Jahr in den USA und fand in dieser Phase meines Lebens das erste Mal so richtig heraus wie und wer ich ohne den Einfluss meines sozialen Kreises war und fand zum erstem Mal so richtig zu mir. Ich meine, es handelte sich um 13 Jahre Schule, Freunde und Familieneinflüsse, die es zu verarbeiten und zu reflektieren galt.
Nun schaue ich mich bereits in der Bahnhalle der Bahnstation des Air Trains nach den Beschilderungen um zur Jamaica Queens Station, und darauf folgend zur Grand-Central- Station zu gelangen und stelle fest, dass ich mich in derselben Situation wie vor 8 Jahren befinde. Die wohl am meisten gehypte Bahnstation der Welt ist das erste, vorübergehende Ziel meiner Reise. Dort werde ich erneut hineingeschleudert in die Sphäre von vergehender Zukunft und zeitgleich stattfindender Vergangenheit. Und ich frage mich, ob ich in fünf oder zehn Jahren dann auf meinen heutigen Aufenthalt zurückblicken werde und feststelle, dass ich – eben wie in 2013 – meine Zukunft aktiv auf dem amerikanischen Boden mitgestaltet habe und auf eben diesem Boden auch habe gedeihen lassen.
Denn zurück in den USA zu sein, heißt für mich, Einflüsse an mir festzustellen, die mir im vorigen Verlauf der letzten Jahre so nicht haben auffallen können. Im Umkehrschluss heißt das also, dass ich als anderer, veränderter Mensch nach meinem Schauspielstipendium nach Berlin zurückkehren werde, da neue Einflüsse und neue Erfahrungen hinzukommen werden.
“And go back to where you once been, just to see what you want to leave behind and what to bring with you and your journey towards the new you” oder ist das zu drastisch formuliert – a new you? A better I? Drum frage ich mich, wie ich das finden soll, dieses hinzusteuern auf ein neues, ein anderes, ein gewachsenes ICH. Noch weiß ich es nicht. Es wird mir klar werden, wenn ich mein sogenanntes neues ICH in die Lebensrealität meines alten Ichs setzen werde – dann werde ich Diskrepanzen feststellenkönnen.
Das bringt mich gedanklich zurück nach Deutschland, zurück nach Berlin und Bielefeld. And I gotta go back there eventually. Ein weiteres zurück dann. Wie wird das aussehen, wie wird es sich anfühlen? And go back to Germany – mit neuem Mindset; mehr Ansprüchen und höheren Zielen – vielleicht?
Nun ja – mein zwischen meinen Beinen festgeklemmter Rucksack droht beim ruckartigen Abbremsen des überfüllten U-Bahnwagons des J-Trains in den Gang zu fallen, weil ich vergessen hatte, wie stark die Züge in den extrem langen Bahnhallen Manhattans beim Halten in die Bremse gehen können. Doch halte ich den riesigen Rucksack noch am letzten Zipfel und drücke ihn wieder fest zwischen meine Füße und klemme den oberen Teil zwischen meine Knie. Ich fühle mich wie mein Rucksack – wankend und unsicher, wohin meine Reise mich im Großen und Ganzen wirklich führen mag. Dennoch ist mir aufgrund meiner vorigen Auslandserfahrung in den USA bereits klar, dass der Einfluss auf mich als Künstlerin, Autorin und allem voran als Schauspielerin enorm sein wird – oder zumindestens werden soll. Doch liegt das wirklich an New York, an den unglaublich vielen Möglichkeiten dieser Millionen Metropole? Oder ertappe ich mich gerade dabei meinen individuellen Wachstums- und Reflexionsprozesse einem, oder vielmehr, diesem Ort zuschreiben zu wollen? Noch eine Station und dann habe ich die Grand-Central-Station, mein erstes Etappenziel erreicht. Erleichtert denke ich darüber nach, dass auch New York nur eine vieler Großstädte ist und ich mir den Druck von den Schultern nehmen sollte, aus dieser Zeit etwas unglaublich Einzigartiges machen zu wollen und sich lieber darauf zu verlassen, dass es von allein so kommen würde. Als der Zug in die Bahnhalle der Grand-Central einfährt bin ich gelassen und vertraue völlig darauf, dass all die Götter und das Universum mich mit den besten Erfahrungen segnen werden, und mich mit Menschen verbinden, die es auf verschiedensten Arten und Weisen wert sind kennenzulernen und diese Connections jeweils auf Bereicherungen im Leben des anderen hinauslaufen werden. So beantwortete ich mir die Frage selbst: nein – nicht nur New York City liegt diese Macht der Selbsterfüllung und Sichtbarkeit inne. Sondern jeder Ort, der eben Lebenslust in einem selbst weckt und dieser dann neue und buntere Farben verpasst, hat die Kraft einen Menschen zu seinem besten oder mutigsten Selbst zu pushen.
Drum bin ich froh, dass ich dieses Mal nur sieben Jahre an Reflexionsmaterial mitbringe, anstelle meines ersten Besuchs in den USA als AuPair; bei meinem jetzigen Aufenthalt bleiben schließlich nur zwei Monate anstelle eines ganzen Jahres. Ab heute reflektiere ich also all die Jahre, in denen ich hatte lernen müssen, wie ich eigenständig Projekte aufziehe, wie ich mich als Künstlerin vieler Sparten identifiziere, positioniere und ganz praktisch betrachtet selbständig machen konnte. Es sind die sogenannten besten Jahre des Lebens – die Mitte meiner zwanziger – die es zu überdenken und kritisch aus der Gegenwart zu bewerten gilt!
Thankfully stehe ich hier heute nicht mehr ganz so planlos an den Bahngleisen der Grand-Central- Station. Wenigstens weiß ich diesmal schon, wer ich bin und wo ich hinwill – ja fast hinmuss! Ich weiß bloß nicht, in welchen Zug ich diesmal steigen muss – die Subway, den LIRR oder zurück in den CL-Express, all the way back to Connecticut, wie vor acht Jahren? Neben der Vorfreude auf meine Schauspielausbildung, die mit dem Anfang nächster Woche beginnt, bleibt mir beim Anblick der beige-goldenen Bahnhalle der Grand Central und der aufsteigenden Aufregung, die mit dem Bewusstsein des Vergänglichen zusammenhängt, nur mein Enthusiasmus. Dieser – bereits in einen melancholischen Tenor eingefärbte – Stimmungsbeeinflusser lässt mich nur eines wirklich gewiss feststellen: Keiner der Wege wird mich nach Rom führen, denn ich bin ja schon in New York – es liegt an jedem einzelnen Menschen sowie auch an mir selbst, Rom von zu Hause hier her mitzubringen. Ich habe meine Ziele heute ganz klar vor Augen und so soll es auch erstmal bleiben.
Let’s see where things can go!