Der Krieg in der Ukraine ist nun seit einer Woche voll im Gange. Die Meinungen über den Krieg und über die Geschehnisse rund um den Konflikt gehen in einigen Punkten auseinander. Ein Konflikt mit militärischer Ausprägung bringt immer Opfer und Täter mit sich. Die Deutung und Zuweisung dieser Rollen sind dabei nicht immer so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Uno-Vollversammlung am 2. März 2022, bei der sich eine große Mehrheit für eine formelle Verurteilung ausgesprochen hat, jedoch über 30 Nationen enthielten, zeigt, dass wir es aktuell mit globaler Deutungsvielfalt zu tun haben.
Verspieltes Vertrauen
Die Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine ist, isoliert betrachtet, eine klare Sache. Jedoch zögern einige Staaten, vor allem im globalen Süden, den Westen unter Vorherrschaft der USA blind zu vertrauen. Die Erinnerungen an die Kriege im Nahen Osten, in Afrika und imitierte Putsche dort und in anderen Teilen der Welt, sind bei vielen Nationen noch sehr wach. Wird die Phase des Kalten Krieges mit in die Betrachtung gezogen, ist das Misstrauen gegenüber den USA auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite umso größer. Denn “kalt” war der Krieg nur im globalen Norden, im globalen Süden tobten heftige und heiße Stellvertreterkonflikte, die viel Leid und noch mehr Toten nach sich zogen. So sehr der Angriffskrieg von Russland zu verurteilen ist, so sehr zögern viele Menschen und Nationen die westliche Deutung ohne Kritik zu akzeptieren. Das Vertrauen ist verspielt. Viele Nationen der Welt weisen darauf hin, dass westliche Staaten in ihrer Geschichte sehr oft Angriffskriege begonnen oder Konflikte ausgelöst haben.
Krieg der Nachrichten
Von den über 30 Nationen, die sich der Stimme enthielten, sind viele aus dem globalen Süden. Diese bilden die große Gruppe der Unbeteiligten. Anders als im Ersten und Zweiten Weltkrieg müssen Völker des globalen Südens nicht unter der Flagge der Kolonialherren mitkämpfen. Viele halten sich lieber zurück und appellieren an beide Seiten, der Diplomatie wieder eine Chance zu geben. Diese Haltung ist historisch begründet, denn die meisten Staaten, die sich enthalten haben, haben immer wieder die Erfahrung gemacht, Spielball der Supermächte der Welt zu sein. Die Nachrichten und der Aktionismus, getarnt als Solidarität, sind mittel der Kriegsführung um die Deutungshoheit in diesem Konflikt zu gewinnen. Anders als in der Zeit unmittelbar nach der Unabhängigkeit vieler Staaten, haben viele Länder des globalen Südens damit begonnen ihre eigenen Interessen zu entwickeln und nach diesen zu handeln. Mit China als Partner, sind die Zeiten der einseitigen Abhängigkeit entweder von den USA oder Russland vorbei. Der Wettbewerb um die Loyalität der Staaten, die für die Rohstoffzufuhr der Welt essentiell sind, ist voll im Gange.
Der Schatten der Geschichte
Darum ist es wenig verwunderlich, das viele Staaten den Konflikt aus einer Perspektive bewerten, welcher für Menschen im Westen, sehr befremdlich ist. Die Nationen im Westen sollten wissen, das die meisten Staaten des globalen Süden in ihrer Geschichte auch Opfer von Angriffskriegen wurden, allerdings wissen diese Staaten auch, wer die Kriege ausgelöst hat. Der Schatten dieser Geschichte ist noch sehr präsent. Darüber können auch Sonntagsreden vor dem UN Sicherheitsrat nicht hinwegtäuschen, welche das Leid und die bis heute noch sichtbaren Konsequenzen unter den Teppich kehren.
In der aktuellen Situation wird die Zeit zu einer noch größeren Deutungsvielfalt, getrieben von nationalen Interessen, hervorbringen.